Kapitel 17: Lichtfülle


"Aha, da haben wir es doch! Dachtest du etwa, ich finde es nicht?" Triumphiernd halte ich das rosa Spielzeugpferd hoch.

Die Schultern des Mädchens sacken herab. "Ich wollte doch nur ein Geburtstagsgeschenk für meine kleine Schwester..."

Ich sehe sie tadelnd an, lege das Pferdchen in eine kleine Plastikkiste und mache eine Notiz.

"Meinst du etwa deine kleine Schwester würde sich immer noch über das Geschenk freuen, wenn sie wüsste, dass es gestohlen ist?"

Sie schüttelt traurig den Kopf.

Ich geleite die junge Diebin in das Verhörzimmer, wo bereits ihre Eltern warten.

"Lux!" Chefkommissar Thom winkt mich zu sich. Ich übergebe das Mädchen an eine Kollegin und verlasse den Verhörraum.

"Es gab einen Einbruch im Luke's Lama. Kollege Merx hat heute einen Termin außerhalb von Windenburg. Fahren Sie hin und nehmen die Zeugenaussage auf. Ich schicke Ihnen ein paar Kollegen für die Spurensicherung mit."

Ich nicke, lasse mir die Adresse geben und mache mich gleich auf den Weg.

Rund um das Luke's Lama sieht es friedlich aus. Eine junge rothaarige Frau steht vor der Bar und erwartet uns bereits.

"Da sind Sie ja endlich!" Mit einer ausladenden Handbewegung deutet sie auf den Eingangsbereich. "Sehen Sie das? Die sind noch nicht einmal von hinten eingestiegen, sondern saufrech durch die Eingangstür spaziert."

Während die Kollegen mit der Spurensicherung beginnen, führt mich die junge Frau durch den unbeschädigten Hintereingang nach drinnen. Dort setzen wir uns an einen der Tische.

"Wann haben Sie den Einbruch bemerkt?" Ich hole mein Notizbuch heraus, notiere das Datum und den Namen der Zeugin.

"Vor einer Stunde. Wir öffnen um 16 Uhr, ich bin wie heute meistens eine halbe Stunde früher da."

"Und wann hat die Bar gestern geschlossen?"

Die junge Frau zuckt mit den Schultern. "Meine Schicht war um 0 Uhr vorbei, aber da war der Laden noch voll. Meistens geht es bis 3 Uhr oder länger."

Ich stutze. Während meiner Zeit in Windenburg waren spätestens um 23 Uhr alle Bars und Restaurants zu. Die junge Frau bemerkt meine Überraschung.

"Wir sind die einzige Bar in Windenburg, die alle Spiele der Lama League zeigt! Da wird anschließend immer noch lange gefeiert, je nach Ausgang des Spiels. Erste Liga, Zweite Liga, alle Pokalspiele, sogar die Freundschafts- und Qualifikatonsspiele! Dafür haben wir hier vier Fernsehgeräte. Normalerweise." Sie deutet um sich an die Wände.

Auch ich sehe mich nun genauer im Innenraum der Bar um und kann keinen einzigen Bildschirm entdecken.

"Sehen Sie? Die haben uns alle TV-Geräte geklaut. Das ist ein Riesenproblem! Morgen spielen die Social Rabbits gegen die La Maas. Verstehen Sie?"

Ich verstehe gar nichts und tue so, als wenn ich mir eifrig Notizen machen würde.

"Wenn wir das Spiel nicht zeigen, gehen uns die Gäste verloren. Die ziehen dann rüber in den Irish Pub und wir können hier dichtmachen."

Ich nicke verständnisvoll. "Vielleicht schaffen Sie es ja noch bis morgen Ersatzgeräte zu organisieren, zumindest für den Übergang. Fehlt noch etwas anderes?"

Die junge Frau schüttelt den Kopf. "Ich habe nichts weiter bemerkt. Die Kasse wird immer geleert, bevor der Laden zu macht."

Ich bedanke mich und verspreche, dass sich bald jemand bei ihr melden wird. Außerdem lasse ich mir die Kontaktdaten des Wirtes geben, der am Vorabend die Nachtschicht hatte.

 

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich Feierabend habe. Ich überlege noch kurz ins Präsidium zu fahren und meine Notizen im Computer zu hinterlegen, schlage dann aber doch den Weg zur Fähre ein. Ich habe genug für heute - am Vormittag Berichte wälzen, eine zähe Teamsitzung, am Mittag dann die Ladendiebin und jetzt auch noch der Einbruch in der Bar.

"Hey, Joelle!"

Ich drehe mich überrascht um und stehe Vinny gegenüber, der auf mich zu läuft.

"Hallo, was machst du denn hier?"

"Was ich hier mache?" Er lacht. "Ich wohne hier!"

Er führt mich in den Garten, der direkt an ein kleines Backsteinhaus grenzt.

"Du bist wohl noch im Dienst?" Er mustert meine Uniform.

Ich schüttel den Kopf. "Jetzt nicht mehr. Ich hatte hier draußen zu tun wegen eines Einbruchs."

"Einbruch?" Er runzelt die Stirn. "Hier in der Nachbarschaft?"

"Nicht direkt. Im Luke's Lama wurden alle Fernsehgeräte gestohlen."

Vinnys Augen weiten sich. "Oh-oh. Da wird mein Mitbewohner aber gar nicht erfreut sein, wenn er morgen nach Hause kommt. Er wollte das Spiel morgen schauen, die Social Rabbits gegen..."

"....gegen die La Maas, ich weiß."

Er sieht mich überrascht an. "Du interessierst dich für die zweite Liga?"

"Nicht die Bohne", erwidere ich trocken und lasse meinen Blick über die angebauten Pflanzen schweifen. "Du hast ja tatsächlich ein grünes Händchen."

"Hab ich doch gesagt! Warte erst, bis alles Früchte trägt!" Er deutet stolz um sich und erklärt, was wo wächst.

"Du scheinst ja viel Zeit zu haben", grinse ich.

Vinny schaut verkniffen. "Ja, leider muss ich sagen. Mein Fotostudio könnte besser laufen. Ich habe es erst vor ein paar Monaten umgebaut und renoviert. Hab monatelang darauf gespart. Jetzt hoffe ich, dass es sich auch rentiert und ich einen besseren Eindruck bei meinen Kunden hinterlasse. Möchtest du es mal sehen? "

"Auf jeden Fall!"

Gespannt folge ich Vinny ins Haus. Vom Flur führt eine Treppe in den Keller und mündet in einem hellen Vorraum. Durch einen Türbogen gelangen wir in strahlend weiße Räumlichkeiten.

"Wow, das sieht richtig schick aus hier unten!" Ich sehe mich staunend um. "Wie sah es denn vorher aus?"

Vinny zuckt die Schultern. "Ungefähr das Gegenteil von dem Jetzt-Zustand. Es war viel dunkler, ich habe den Boden komplett neu verlegt und die Wände gestrichen. Die Möbel sind auch neu."

Er führt mich um die Ecke. "Das einzige, was geblieben ist, ist meine Kamera-Ausrüstung."

"Das Studio sieht toll aus, Vinny!"

"Danke! Jetzt müssen nur noch die Kunden kommen. Leider machen die Leute nicht besonders oft Passfotos im Jahr. Und außerdem wird man davon auch nicht reich."

Ich nicke. "Und du bist doch auch nicht Fotograf geworden, um Passfotos zu machen, oder?"

"Natürlich nicht! Ich wollte eigentlich mal Food-Fotograf werden..."

"Bitte was?"

"Naja, Lebensmittel fotografieren... Für die Werbung, für Rezeptbücher. Dann bin ich irgendwie in die Mode-Fotografie gerutscht. In letzter Zeit habe ich gemerkt, dass diese Zeit eigentlich gar nicht so schlecht war. Ich denke dahin zieht es mich zurück."

Er mustert mich. "Du würdest dich übrigens auch gut als Model machen."

"Ich?" Blut schießt mir in den Kopf und ich muss kichern. "Auf keinen Fall!"

Vinny blickt weiter ernst. "Na klar! Weißt du was? Wir probieren das jetzt mal aus. Ich habe da drüben ein Designer-Kleid, das dir stehen würde."

"Designer-Kleid? Wo hast du das denn her?"

Vinny grinst. "Ich sag doch: Mode-Fotograf zu sein, hatte seine Vorteile."

Wir gehen zusammen in den vorderen Bereich des Studios, wo Vinny auf ein blaues Kleid deutet.

"Das hier meine ich. Was denkst du? Du kannst dich dort drinnen umziehen." Er zeigt zu einer Tür.

Ich sträube mich erst noch etwas, gebe dann aber nach. Das Kleid hat es mir angetan.

Fünf Minuten später trete ich heraus. Vinny klatscht vor Freude in die Hände.

"Joelle! ich wusste, du siehst darin toll aus! Los, vor die Kamera mit dir!"

"Warte, wenn schon, denn schon!" Ich setze mich an einen der Schminktische, drehe meine Haare zu einem Dutt nach oben, lege etwas Lippenstift auf und pudere mein Gesicht.

Ich kann Vinny im Spiegel sehen, der den Blick keine Sekunde von mir abwendet.

Als ich fertig bin, bringt er mich vor der Kamera in Position.

"Und jetzt sei einfach du selbst!"

Vinny macht ein paar Fotos, verändert noch etwas am Licht und strahlt mich an. "Sehr gut! Einfach lächeln, so wie immer!"

"Das hat Spaß gemacht, hätte ich ehrlich gesagt nicht gedacht."

"Die Fotos sind super geworden. Du bist ein Naturtalent!"

Ich winke ab. "Ach hör doch auf. Ein Model werde ich in diesem Leben ganz sicher nicht mehr."

"Dann vielleicht im zweiten", grinst Vinny und nickt bekräftigend.

Ich sehe auf die Uhr. "Danke, dass du mir meinen Feierabend versüßt hast. Aber ich muss jetzt los."

Vinny nickt. "Immer wieder gerne. Ich würde mich freuen, wenn wir das mal wiederholen könnten."

Ich nicke zaghaft und verschwinde dann im Umkleideraum, um meine Uniform wieder überzustreifen.

Vinny begleitet mich noch nach draußen und wir umarmen uns.

"Beim nächsten mal dann wieder zum Training?", frage ich und zwinker ihm zu.

Er lacht. "Okay, dann wieder zum Training."