Kapitel 9: Feuerwut


Das Klingeln der Haustür reißt mich aus dem Tiefschlaf. Ich setze mich auf und kneife die Augen zusammen, um die Uhr auf meinem Nachttisch besser lesen zu können. Es ist nach um 10 und langsam kehren die Erinnerungen an den gestrigen Abend zurück in mein Gedächtnis. Erinnerungen an laute Musik, viel Alkohol und ausgelassene Gäste, die erst in den Morgenstunden den Heimweg antraten.

Als es erneut klingelt, schlüpfe ich aus dem Bett und wanke die Treppe hinunter. Im Wohnzimmer umrunde ich geschickt halbvolle Gläser und Flaschen, die auf dem Boden stehen und rutsche beinahe auf einem Kissen aus.

Dann öffne ich mit einem Ruck die Haustür und erstarre.

Leo. Den habe ich völlig vergessen. Ich wollte ihm doch eine Nachricht schreiben, verdammt!

„Guten Morgen auch.“ Es klingt nicht freundlich.

Geknickt reibe ich meine Handflächen aneinander und seufze. „Leo, es tut mir so leid. Ich wollte dich nicht sitzen lassen! Ich…“

„Aber du wolltest lieber eine Party schmeißen, statt dich mit mir zu treffen? Und, oh warte, du wolltest mich lieber nicht mit dabeihaben, stimmt’s? Was wäre da also geschickter, als mich Zuhause warten zu lassen und nicht ans Handy zu gehen, während du dich mit deinen alten neuen Freunden vergnügst?“

Es klingt, als hätte er seit Stunden darauf gewartet mir diese Worte ins Gesicht zu brüllen. Ich sehe, dass es in ihm brodelt.

„Nein, Leo. So war das nicht!“

 

„Ich habe dich bestimmt zehnmal angerufen! Und Nachrichten geschrieben! Ich habe angefangen mir Sorgen um dich zu machen!“ Sein Gesicht ist wutverzerrt und seine Stimme wird immer lauter.

 

„Pssst, Leo. Bitte nicht so laut! Kelly schläft noch, sie hatte Spätschicht.“

Er schnaubt und schaut mich weiter unversöhnlich an.

 

„Komm bitte rein, dann erklär ich dir alles.“ Als er keine Anstalten macht mir ins Haus zu folgen, sehe ich ihm noch einmal fest in die Augen. „Bitte!“

Leos Körper versteift sich und er verschränkt die Arme.

 

„Woher weißt du eigentlich, dass wir gestern gefeiert haben?“, versuche ich, das Gespräch am Laufen zu halten.

 

„Shirani hat gestern ihren ganzen Simstagram-Account mit den Partyfotos vollgespamt. Ts, die ganze Bande war hier. Hast du alle eingeladen, ja?“, murmelt Leo und sieht dabei wütend überallhin, nur nicht in meine Augen.

Ich schüttele nur stumm den Kopf und mache einen Schritt auf ihn zu. Er weicht mir aus und das versetzt mir einen Stich.

„Leo, das tut mir alles schrecklich leid! Ich habe diese Party nicht organisiert. Shirani wollte mich überraschen, hat alle eingeladen und so weiter. Als ich nach Hause kam, standen sie im Wohnzimmer. Ich hatte gar keine Zeit, um einen klaren Gedanken zu fassen.“

 

Leo fixiert mich nun mit seinen Augen. „Aha.“

„Wirklich! Ich wollte dir schreiben, aber dann ging alles drunter und drüber. Alle wollten ständig was von mir. Tanzen, quatschen,…“ Ich merke selber, wie erbärmlich ich klinge und verstumme.

 

„Oh, du musstest also tanzen, wie schlimm!“ Leo schüttelt resigniert den Kopf und reibt sich den Nacken. „Weißt du was? Ist mir auch egal! Ich bin eigentlich nur hier, um zu erfahren, ob du gestern irgendwas Auffälliges bemerkt hast zwischen deinen Freunden. Denn im Gegensatz zu dir möchte ich immer noch herausfinden, was damals mit Clara passiert ist.“

 

„Das möchte ich doch auch!“

 

„Offensichtlich nicht!“ Leo stemmt die Hände in die Hüfte und schaut mich abwartend an.

 

Als ich nichts sage, gibt er einen schnaubenden Laut von sich und macht auf dem Absatz kehrt.

„Leo! Warte bitte!“ Ich setze ihm nach und greife seinen Arm.

 

Er schüttelt mich ab wie eine lästige Fliege. „Was?“

 

„Ich hab nichts Besonderes bemerkt gestern. Nur… Kira hatte alte Fotos mitgebracht. Da war auch Clara drauf. Die anderen haben kein Wort über sie verloren, das ist doch seltsam, oder?“

 

Leo nickt. „Ja, das ist seltsam. Und bestärkt mich nur in der Annahme, dass die alle unter einer Decke stecken."

Ich sehe zu Boden. „Das glaube ich nicht. Das heißt, ich kann es mir einfach nicht vorstellen.“

 

„Und genau das ist der Unterschied zwischen uns beiden: Du willst gar nicht herausbekommen, was mit Clara geschehen ist! Du bist so froh, deine alte Welt hier heil vorgefunden zu haben, dass du Angst hast, sie wieder zum Einsturz zu bringen!“

 

„Nein, das stimmt nicht!“, rufe ich und mir wird gleichzeitig bewusst, dass Leo damit vielleicht gar nicht so Unrecht hat.

 

Leo wendet sich wieder zum Gehen, aber ich stelle mich ihm in den Weg. „Ich möchte dir weiterhin helfen, okay? Zu zweit kommen wir doch viel schneller voran!“

Leo schürzt die Lippen und mustert mich eindringlich. „Kannst du das denn? Objektiv ermitteln ohne dich von deinen Best Friends einlullen zu lassen?“ Er wartet meine Antwort noch nicht einmal ab. „Ich glaube nicht.“

 

Ich seufze und wage einen  letzten Versuch. „Das ist doch mein Vorteil! Ich habe ein gutes Verhältnis zu den anderen. Ich kann viel leichter an Informationen gelangen! Wir müssen doch nicht für die anderen sichtbar zusammenarbeiten. Ich versuche auf direktem Wege etwas herauszubekommen und du eben auf deine Weise. Von Zeit zu Zeit gleichen wir unsere Infos ab. Die anderen wissen nicht, dass ich versuche Claras Tod aufzuklären. Wir müssen einfach so tun, als wären wir uns nicht grün, dann ist meine Tarnung perfekt!“

„Das wird mir nicht schwer fallen“, murmelt Leo.

Ich verdrehe die Augen.

Zu meiner Überraschung nickt er aber nach einer kurzen Pause. „Okay, von mir aus machen wir es so. Ich gebe dir eine Woche, dann treffen wir uns. Wenn ich dann aber merke, dass du mir was vorgespielt hast, mache ich allein weiter. Ich melde mich bei dir.“

 

Mir fällt ein Stein vom Herzen und ich möchte ein paar friedenstiftende Worte loswerden, aber Leo ist da schon längst davon gestapft.

Ich sehe ihm einen Moment nach, mein Herz klopft immer noch vor Aufregung.

 

„Einen wunderschönen guten Morgen, du Hübsche!“

Mein Puls schießt in die Höhe und ich drehe mich erschrocken um.

Shirani steht vor mir und strahlt mich durch die Gläser ihrer Sonnenbrille an. „Na, schon ausgeschlafen? Und warum stehst du hier draußen im Nachthemd?“ Sie mustert mich von oben bis unten. „Hat dich Leo etwa belästigt?“ Sie zeigt hinter mich, in die Richtung, in die Leo verschwunden ist.

Sie muss uns von Weitem beobachtet haben. Ein guter Moment, um meine Tarnung aufzubauen, schießt es mir in den Kopf. „Ja… Ja! Er hat geklingelt und wieder irgendein dummes Zeug geredet. Von Clara und damals. Ich musste ihn vom Grundstück scheuchen.“

 

„Ach du meine Güte. Der wird ja immer verrückter! Komm schnell ins Haus, bei deinem Anblick friert es einem ja!“

Sie stolziert an mir vorbei zur Haustür und lässt mich perplex zurück. Mit einigen Sekunden Verspätung stolpere ich hinter ihr her.

„Huuch, wie sieht es denn hier aus? Fand hier gestern etwa eine Überraschungsparty statt?“ Sie ist im Wohnzimmer zum Stehen gekommen, lacht laut und dreht sich dann zu mir um. „Keine Sorge, Schätzchen. Deswegen bin ich jetzt hier. Ich kann schließlich keine Party für dich schmeißen und dich dann mit allen Hinterlassenschaften allein lassen!“

 

„Oh, das ist wirklich nett, danke.“ Ich husche schnell nach oben in mein Zimmer und schlüpfe in Hose und Shirt. Shirani ist so liebenswert, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie mit Claras Tod etwas zu tun hat. Und das muss ich Leo beweisen!

 

Unten hämmert Shirani auf ihr Smartphone ein. „Schon 10:45 Uhr? Wo bleibt die denn?"

„Wo bleibt wer?“ Noch mehr unangekündigter Besuch? Darauf habe ich eigentlich keine Lust. Ich fühle mich nicht wohl in meiner ungeduschten Haut und so langsam merke ich auch wie sich Kopfschmerzen anbahnen.

 

„Na die Putzfee, wer sonst? Glaubst du wir machen uns hier die Finger schmutzig?“

Wie auf Kommando klingelt es an der Tür.

„Ah, das muss sie sein!“ Shirani stöckelt zur Tür und öffnet. Kurz darauf betritt eine Putzfrau den Wohnraum und sieht sich um, ohne mich zu beachten.

„Einmal komplett, bitte!“, ruft Shirani und stupst mich dann an. „Komm, wir gehen jetzt schön frühstücken, ich lad dich ein!“

 

„Was? Willst du die Dame hier etwa alles allein sauber machen lassen?“ Die besagte Putzfrau wirft mir einen freudig überraschten Blick zu. „Und sie dazu auch noch allein im Haus lassen?“, werfe ich hinterher, woraufhin sie mich pikiert von der Seite anschaut.

 

„Ich klaue nicht!“, erwidert sie beleidigt, aber Shirani schneidet ihr das Wort ab.

„Sie wird schließlich für's Putzen bezahlt und das nicht zu knapp! Außerdem ist doch Kelly da, hast du gesagt!“

 

Ich will noch etwas erwidern, aber Shirani bringt mich mit einer Handbewegung zum Schweigen und deutet dann lächelnd, aber bestimmt zur Tür. „Und jetzt los. Sonst verhungere ich noch an Ort und Stelle und unsere liebe Putzfee hier muss auch noch meine Knochen zusammenkehren."


Das Frühstück mit Shirani artet in einen Brunch aus, sodass ich mich erst gegen 14 Uhr auf den Rückweg mache. Shirani will mich überreden, noch zusammen mit ihr shoppen zu gehen, was ich glücklicherweise abwenden kann. Ich kann es kaum erwarten mich Zuhause in die Badewanne zu legen.

Im Haus ist von der Putzfrau keine Spur mehr. Dafür blitzt alles wie neu und der ganze Dreck von der Party ist wie weggefegt.

Ich will gerade hoch in mein Zimmer gehen, als Kelly aus ihrer Zimmertür geschossen kommt.

„Was war das denn bitte? Du hättest mir ja wenigstens kurz Bescheid sagen können, dass eine fremde Person in unserem Haus ist!“

Ich muss wohl sehr geknickt gucken, denn Kelly wird sofort etwas ruhiger. „Ich meine, die hat mich angeglotzt wie ein Brot, als ich plötzlich halbnackt vor ihr stand!“

„Das tut mir wirklich leid, Kelly. Das Ganze war nicht meine Idee…“

 

 „Ja, ja. Dann hilf mir jetzt wenigstens die Sofas wieder an die richtige Stelle zu rücken“, erwidert Kelly.

Gemeinsam schieben wir die Möbel zurecht. Dann verschwindet Kelly ohne ein weiteres Wort in ihr Zimmer und ich schleiche geknickt nach oben. Heute ist einfach nicht mein Tag.